Bernd Kramers Artikel Fast
wie Zuhause gab
Anstoß zu diesem, recht langen Eintrag. Im Lead seines Artikels auf jetzt.de
heißt es wer Erasmus macht, wechselt zwar das Land, aber
selten sein Milieu. Ich
mache derzeit zwar bekanntlich kein Erasmus und teile auch nicht alle Aussagen
im Artikel. Der ein oder andere aufgeschnappte Aspekt allerdings hat mich zum Nachdenken über
die Erfahrungen meiner bisherigen Auslandsaufenthalte während meines Studiums
gebracht.
Statistiken von Bildungswissenschaftlern konstatieren etwa, dass junge Leute heute zwar schnell das Land wechseln – kaum aber ihr Milieu.
Kramer schließt pessimistisch mit der Aussage, dass im Ausland die Kinder der gehobenen europäischen Mittelschicht aufeinandertreffen.
Zuvor berichten Studenten, dass die Kontakte mit den einheimischen Studenten leider häufig oberflächlich bleiben.
Das klingt alles ganz
schön traurig, aber irgendwie ist's zumindest ein bisschen so. Denn der Kontakt
zu einheimischen Studenten war und ist sowohl in Forlì als auch hier in Turku
tatsächlich eher ärmlich. Gründe dafür fallen mir einige ein. So wollen
Exchange-Students etwa reisen. Wie heißt es doch so schön und zugleich doch unwahr: Land
und Leute kennenlernen. Die heimischen Studenten haben daran, verständlicherweise,
eher wenig bis kein Interesse.
Halte ich mir selbst
den Spiegel vor, wird, wurde und ist mir das bewusst(er) und verständlich. Hielt
ich doch selbst beispielsweise in Eichstätt meine katalanische Mitbewohnerin
für äußerst ambitioniert für einen Tag ins doch so nahe Österreich oder nach Prag zu fahren.
Ich lehnte ihre Angebot, sie und andere Internationals zu begleiten, dankend ab
mit der fadenscheinigen Begründung das lohne sich
doch nicht und überhaupt könne ich ja immer hin. Tatsächlich dort war ich während meiner ganzen vier Jahre im Altmühltal nicht. Uns
PoGeler(inn)en war ja selbst sogar ein Ausflug ins wirklich nahgelegene
Ingolstadt, Nürnberg oder wahlweise München meist zu weit.
Ver-rückte Welt. Denn
in Italien nahm dieselbe Anna-Lena gerne und senza pensarci zig-stündige
Bahnfahrten nach Trento, Genova, Torino, Ravenna (to be continued) auf sich und
flog sogar mit den ragazze auf Sicilia – così. Selbiges hier in Finnland: ein
Tagesausflug nach Åland wahlweise Tampere, in gut drei Wochen für drei
Tage nach Stockholm, vor Weihnachten nach Lappland, im neuen Jahr will (!) ich
nach Talinn, Riga und Russland. Und ach, in Polen war ich auch noch nicht. . .
Hm, ganz schön
ambitionierte Pläne, die freilich bezahlt werden wollen und müssen. Und da
schließt sich der Kreis zu Kramers These. Zwar habe ich neben dem Studium
gejobbt, habe versucht für meine Reisevorhaben zu sparen, erhielt in Italien
ERASMUS-Taschengeld und werde derzeit vom DAAD gefördert, aber meine Ausgaben
deckt das dennoch nicht. Deshalb hier und jetzt ein großes öffentliches DANKE
an Papa, Mama, Oma und Opa, die mir seit Jahren all meine In- und
Auslandsaufenthalte und -ausflüge co-finanzieren. Das Selbige gilt zum größten
Teil ebenso für die Eltern all meiner Kommilitonen und Reise-Begleitungen.
Insofern hat Kramer in puncto Milieu/Finanzen wohl gar nicht so Unrecht. Ganz so trostlos, dass
man(n) und frau aber deshalb keine Kulturen kennenlernt, ist es zumindest aus meiner Sicht nicht. Allein
meine Mitbewohner(innen) der vergangenen Jahre haben mich mit deutschen (oha,
ja da wären wir wieder beim mia san mia) sprich: nordrheinwestfälischen,
bayerischen (ich bin ja Fränggin!) und schwäbischen sowie französischen und
katalanischen, nicht spanischen! Ritualen vertraut gemacht. Conquilini
gewährten mir Einblicke in die Kultur Israels, Italiens, Österreichs, Schwedens
und Englands. Und meine derzeitigen roomies sind Estinnen. So und das sind
‚nur‘ die Nationalitäten, mit denen ich in den letzten Jahren für längere oder
kürzere Zeit eine WG teilte.
Gesetz im Ausland
treffen die Kinder der betitelten europäischen Mittelschicht
aufeinander, interkulturellen Austausch gibt es dessen ungeachtet und wohl, oder?
Ein sehr interessanter Artikel von dem Herrn Kramer, der mir jedoch eindeutig zu negativ ist.
AntwortenLöschenDie Idee mit dem nicht gewechselten Milieu könnte stimmen. Zwar verhalten sich wohl die meisten Erasmusstudenten nicht so wie in ihrem Heimatländern, jedoch bleibt das Interesse und das Bemühen die andere Kultur kennenzulernen auch meist auf der Strecke. Denn, wenn man in der Universität, den Studentenwohnheimen und auf den Parties von anderen Erasmusstudenten umringt ist, hat man schon ausreichend Kulturwirrwarr um sich um nicht absichtlich "noch" eine andere Kultur kennenlernen zu wollen bzw. sich auf noch eine weitere richtig einlassen zu können.
Die Sache mit den Zusammenrottung der Kulturen: Haben wir nicht alle schon einmal gemerkt, dass wir am deutschesten sind, wenn wir nicht in Deutschland sind? Wenn man merkt wie anders die anderen sind, dann schätzt man vermutlich eher die Eigenheiten der eigenen Landsleute.
Oder wie mal jemand Kluges sagte: Wenn ein Mensch zu anderen Himmelskörpern fliegt und dort feststellt, wie schön es doch auf unserer Erde ist, hat die Weltraumfahrt einen ihrer wichtigsten Zwecke erfüllt. (Jules Romains)
So, genug der Gedanken. Viele Grüße nach Kuunsilta!
Laura, gute Gedanken, die mit meinen Gedanken und Erfahrungen nahezu identisch sind.
AntwortenLöschenDeine These mit der 'Zusammenrottung der Kulturen' hatte ich vor meiner Abreise in SUOMI CALLING auch schon einmal erwähnt. Dort schrieb ich "(..) um (wahrscheinlich und hoffentlich) ein weiteres Mal festzustellen: In der Welt daheim, in Franken zuhause! Denn das hat sich bisher auf all meinen Reisen und Aufenthalten im In- und Ausland, unabhängig davon wie gut es mir gefiel gezeigt: meinen (Lokal-)Patriotismus pflege ich - gleich wie man(n) und frau, so meine These - insbesondere in der Ferne." Und so bin ich im Ausland Deutsche, in Deutschland Bayerin, in Bayern Fränkin und in Franken Unterfränkin.
hejhej aus dem Mondbrückchen, Anna-Lena.